Erfolge und Herausforderungen aus der Praxis
Zwei Beispiele zeigen exemplarisch, wie die Familienberater: innen von Espoir mit Vätern in der Sozialpädagogischen Familienhilfe (SPF) zusammenarbeiten. Sie verdeutlichen unsere Herangehensweise, aber auch die damit verbundenen Herausforderungen.
Beispiel 1: Vom Widerstand zur Unterstützung
Familie aus Winterthur, zwei lebhafte Kinder: Tochter, 16 Jahre alt, und Sohn, 10 Jahre alt. Der Vater arbeitet Vollzeit an sechs Tagen pro Woche, wobei seine Arbeitstage unterschiedlich lang sind. Die Mutter kümmert sich um die Kinder und den Haushalt. Vor der Geburt der Kinder erlitt die Mutter eine Erschöpfungsdepression, die bis heute nachwirkt. In der Familie treten regelmässig heftige Konflikte auf. Das Ziel der Familienbegleitung durch Espoir ist es, die Eltern in ihren Erziehungskompetenzen zu stärken und gewaltfreie Erziehungsmethoden einzuführen.
Die Familienberaterin von Espoir besucht die Familie ein- bis zweimal wöchentlich. Da der Vater aufgrund seiner Arbeit oft abwesend ist, konzentriert sie sich hauptsächlich auf die Mutter und die Kinder, führt jedoch auch Gespräche mit beiden Elternteilen. Zu Beginn lehnt der Vater die Begleitung durch Espoir ab und lässt sich nur schwer in den Prozess einbinden. In einem Gespräch äussert der Vater den Wunsch, dass
die Kinder gehorchen sollen. Er droht: «Wenn sie das nicht tun, gibt es schon mal eine Ohrfeige.» Der Zeitmangel des Vaters sorgt dafür, dass die Familienbegleiterin das Thema gewaltfreie Konfliktbewältigung lange zurückstellen muss. Der Vater verweist sie immer wieder an seine Frau.
Die Mutter ist offen und motiviert in der Zusammenarbeit mit Espoir. Sie versucht, den Kindern angemessene Grenzen zu setzen. Aber beim Festlegen von Regeln sind ihr die Hände gebunden, da der Vater das letzte Wort hat. Der Sohn wünscht sich beispielsweise ein neues Spiel
für die Nintendo Switch. Die Mutter schlägt vor, er könne sich dies zum Geburtstag wünschen oder sie könnten Taschengeld einführen, damit er sich seine Wünsche selbst erfüllen könne. Der Vater gibt jedoch nach und kauft es, gegen den Wunsch der Mutter.
Die Familienberaterin initiiert darauf eine Familiensitzung, um die Vorteile einer Lösung mit Taschengeld zu diskutieren. Doch es bleibt eine Herausforderung, den Vater aktiv einzubinden. Er verhält sich weiterhin passiv.
Nach einem Wechsel bei Espoir übernimmt ein männlicher Familienberater die Begleitung der Familie. Allmählich engagiert sich der Vater mehr zu Hause und versucht, die Ratschläge des Beraters umzusetzen. Das bringt Frieden in die Familie, weil die Eltern nun an einem Strang ziehen. Es bleibt offen, ob der Vater Tipps von einem Mann besser annehmen kann oder der Berater einfach den richtigen Draht zu ihm findet.
Dieser Fall verdeutlicht die Herausforderungen bei der Arbeit mit Vätern in der SPF. Einerseits ist es anspruchsvoll, Termine zu vereinbaren, wenn jemand Vollzeit ausser Haus arbeitet. Unsere Familienberater:innen sind bezüglich Zeitplanung flexibel, aber auch sie können nur begrenzt Termine am Abend und am Wochenende wahrnehmen. Zudem kann es für gewisse Männer von Vorteil sein, Inputs von einem männlichen Familienberater zu erhalten, ebenso wie es für viele Frauen angenehmer sein kann, Inputs von einer Frau zu erhalten. Männliche Berater können für gewisse Väter ein Vorbild für die Gestaltung der Vaterrolle und den Umgang mit den Kindern sein.
Beispiel 2: Brücken bauen
Familie aus Zürich, bestehend aus drei Mädchen im Alter von 16, 14 und 10 Jahren. Die Eltern sind getrennt, und die Kinder leben bei ihrer Mutter. Die Kinder haben mehrfach häusliche Gewalt durch den Vater erlebt. Zwei der drei Mädchen entschieden sich, den Kontakt zu ihm
abzubrechen, was er nur schwer akzeptieren konnte. Er bestand darauf, an «seinen» Wochenenden Zeit mit ihnen zu verbringen.
In enger Zusammenarbeit mit der Beiständin beschliesst die Familienberaterin, den Vater zu einem Gespräch auf die Geschäftsstelle von Espoir einzuladen. Zu Beginn macht er deutlich, dass er eigentlich kein Gespräch führen wolle. Trotzdem hört er der Familienberaterin von Espoir aufmerksam zu und teilt offen seine Werte und Wünsche für seine Kinder mit. Im Laufe des langen Gesprächs wird er mehrmals laut und emotional, entschuldigt sich aber am Ende dafür.
Der Vater vermisst seine Kinder zutiefst und ist verletzt darüber, dass die Familienberaterin als Aussenstehende mehr über deren Gedanken zu seinen Besuchszeiten weiss als er selbst. Während des Gesprächs kann die Familienberaterin ihm begreiflich machen, dass sie nicht dauerhaft als Sprachrohr für die Kinder fungieren möchte, sondern dass sie dasselbe Ziel wie er verfolgt: Die Kinder sollen ohne Angst oder Bedenken wegen seiner aufbrausenden Art offen mit ihm sprechen können. Als er realisiert, dass sie nicht gegen ihn arbeitet, wird er zugänglicher und akzeptiert, was sie zu sagen hat. Die Familienberaterin nutzt die Metapher einer Brücke, um die Situation zu erklären: Die Familienbegleitung kann die Brücke zwischen den Wünschen der Kinder und ihm schlagen, aber betreten und pflegen müsse er sie gemeinsam mit den Kindern.
Sie erklärt sich bereit, ihm dabei zu helfen, damit auch die Mutter nicht länger als Sprachrohr für die Kinder einspringen muss. Zudem teilt sie ihm mit, dass sie der Mutter bereits klargemacht habe, dass es im Interesse der Kinder und des Friedens zwischen den Eltern liegen sollte, dass die Kinder ihre Anliegen direkt mit dem Vater klären können, sofern sie seine Besuchszeiten betreffen.
Dieses Gespräch führt zu einer Veränderung der Haltung des Vaters. Die Familienberaterin bleibt auch nach dem Gespräch mit ihm in Kontakt. Dadurch erkennt er, dass es nicht zielführend ist, Druck auf seine Kinder auszuüben. Die Mädchen benötigen Raum, um zu heilen und einen Umgang mit ihm zu finden. Inzwischen kann der Vater seine Kinder wieder gelegentlich treffen, ihnen zum Geburtstag gratulieren oder für sie
kochen. Er hat gelernt, mit diesen wenigen Kontakten zu leben.
Es zeigte sich, dass das einfühlsame Einzelgespräch mit dem Vater entscheidend war, um zuerst einmal eine Beziehung der Familienberaterin zum Vater aufzubauen, um anschliessend die Beziehung zwischen Vater und Kindern wieder zu verbessern. Die Bereitschaft des Vaters, seine Kinder zu verstehen, wuchs, als er erkannte, dass die Familienberaterin keine Gegenpartei, sondern eine Vermittlerin war. Letztendlich führte dies zu einer
verbesserten Beziehung, in der die Kinder wieder Kontakt zum Vater aufnehmen konnten. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig tragfähige Beratungsbeziehungen zu beiden Elternteilen sind.